Theoretische Grundlagen - Frakturheilung
Ablauf der Frakturheilung
Primäre (direkte) Frakturheilung
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bei Brüchen ohne Zerstörung des Periosts bzw. wenn Frakturenden in Kontakt bleiben
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ohne Kallusbildung
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Frakturspalt <1mm --> kapillarreiches Bindegewebe wächst in den engen Frakturspalt ein
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Osteoprogenitorzellen aus dem Endost und Periost lagern sich um die Kapillaren und bilden Osteone (zunächst parallel zur Bruchoberfläche gerichtet)
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Später werden diese Osteone durch Erosionstunnel zur Längsachse des Knochens hin umstrukturiert
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Volle Funktionsfähigkeit nach ca. drei Wochen
Sekundäre (indirekte) Frakturheilung
Kallusbildung in 5 Phasen
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Verletzungsphase (Fraktur)
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Entzündungsphase (inflammatorische Phase; Zelleinsprossung)
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Granulationsphase: die in das Hämatom eingewanderten Fibroblasten bilden Kallus (5.-6. Woche)
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Phase der Kallushärtung: Dauer 3-4 Monate
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Phase des Umbaus (Modeling und Remodeling)
Verletzungsphase
Gewalteinwirkung auf den Knochen verursacht eine Verletzung von Periost, Kortikalis und Knochenmark. Es entsteht ein Hämatom im Frakturspalt.
Entzündungsphase (inflammatorische Phase)
Makrophagen, Granulozyten und Mastzellen infiltrieren ins Hämatom und sezernieren dort u.a. Histamin und Heparin.
Im Frakturhämatom befinden sich pluripotente Stammzellen mesenchymaler Herkunft, die zu Osteoblasten, Fibroblasten und Chondroblasten ausdifferenzieren. In das Hämatom sezernierte Zytokine und Wachstumsfaktoren sind wichtig für die Steuerung der Zellinfiltration, Angiogenese und Zelldifferenzierung.
Granulationsphase
Nach Abklingen der Entzündungsphase wird der Bluterguss, in dem sich jetzt bereits ein Netz von Fibrin und Kollagen gebildet hat, durch Granulationsgewebe mit Fibroblasten, weiterem Kollagen und Kapillaren ersetzt (weicher Kallus) - nach 4-6 Wochen.
Osteoklasten bauen nicht durchblutete Knochensubstanz ab, Osteoblasten bauen neuen Knochen im Bereich der Knochenhaut auf.
Phase der Kallushärtung
In dieser Phase erfolgt die Aushärtung des gebildeten Kallus durch Mineralisation. Es entsteht der Geflechtknochen, dessen Struktur anfangs durch die einsprossenden Kapillaren vorgegeben ist und sich im weiteren Verlauf an der Richtung der Belastungsachse orientiert. Die Dauer der Phase der Kallushärtung wird mit 3-4 Monaten angegeben, wobei der Knochen dann wieder der physiologischen Belastung standhält.
Modeling und Remodeling
Der Geflechtknochen wird in lamellären Knochen umgewandelt. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Knochenstruktur bezieht sich hierbei auf die reguläre nutritive Versorgung des Knochens mit Havers- und Volkmann-Kanalsystem. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Knochenstruktur einschließlich eines Markraumes stellt den weitergehenden Vorgang des Remodelings dar und ist bei regelrechtem Heilungsvorgang nach 6-24 Monaten abgeschlossen.
Störungen der Bruchheilung
Definitionen
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verzögerte Bruchheilung: eine Frakturkonsolidierung ist bis zu 6 Monate nach dem Bruch nicht erkennbar
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Pseudarthrose: ausbleibende Frakturheilung über 6–8 Monate
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hypertroph: überschießende Kallusbildung wegen Instabilität in der Frakturregion → Therapie wäre die stabile (Re-)Osteosynthese
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atroph, avital: Abbau der Fragmentenden wegen Fragmentnekrosen und/oder Instabilität der Frakturregion → Therapie wäre die Pseudarthrosenresektion, Débridement und „Anfrischen“ der Frakturregion, stabile Osteosynthese mit zusätzlicher autologer Spongiosatransplantation
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Ätiologie
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zu großer Frakturspalt, z.B. aufgrund von Knochendefekten (>5 mm)
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zu große Instabilität im Frakturbereich
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eingeschränkte Durchblutung der Frakturregion mit Fragmentnekrosen
Infektion im Frakturbereich führt zu Osteitis und diese zu Osteolysen, Knochensequestern und Knochendefekten. Dies führt zu weiterer Instabilität und Nekrosen → Wundrevision, Sequesterresektion, Infektbehandlung.
Quelle: Orthopädie und Unfallchirurgie essentials. Ruchholtz S, Wirtz D, Hrsg. 4., unveränderte Auflage. Stuttgart: Thieme; 2021. doi:10.1055/b000000470